BGH stellt Photovoltaik-Anlagenbegriff auf den Kopf
(Source: Bundesverband Solarwirtschaft, 2015-12-03)
Auch zum Jahresende bleibt es
für die Erneuerbare-Energien-Branche turbulent. Dafür ist
ein völlig überraschendes Urteil des Bundesgerichtshofs
(BGH) verantwortlich (BGH, Urteil vom 4. November 20915 – Az.
VIII ZR 244/14, http://bsw.li/1XxHiA4. Lesen Sie dazu die
nachfolgende erste Einschätzung, die wir auf der Basis unseres
Rechtsbeirats von Bredow Valentin Herz erstellen konnten.
Selbstverständlich halten wir die BSW-Mitgliedschaft über
die weitere Entwicklung auf dem Laufenden und werden in den
nächsten Tagen das Urteil detailliert unter die Lupe nehmen
und uns beraten, wie wir darauf über eine gesetzliche
Klarstellung reagieren.
Vom PV-Modul zum Solarkraftwerk – neuer Anlagenbegriff
für PV-Anlagen
Der BGH hat in seinem Urteil nicht weniger getan, als der in
der gesamten bisherigen Rechtsprechung, Literatur und Praxis
vorherrschenden Auffassung und nicht zuletzt auch dem
gesetzgeberischen Verständnis des EEG-Anlagenbegriffs bei
PV-Modulen eine Absage zu erteilen. Er setzt sich damit über
eine jahrelang geübte und wohlbegründete Auslegungs- und
Anwendungspraxis hinweg: Entgegen sämtlicher bisheriger
Stimmen entschied der BGH, dass nicht das einzelne PV-Modul eine
Anlage im Sinne des EEG ist, sondern erst die Gesamtheit der Module
innerhalb einer PV-Installation.
Hierfür findet der BGH auch gleich noch einen neuen
Begriff und einige neue Abgrenzungskriterien: Anlage im Sinne des
EEG ist nach dem BGH zukünftig nicht mehr das einzelne Modul,
sondern die nach einem „Gesamtkonzept“ errichtete
„Gesamtheit“ mehrerer PV-Module, das
„Solarkraftwerk“ – auch wenn dieser Begriff im
EEG selbst nirgendwo auftaucht.
Hier die Leitsätze des Urteils im Wortlaut:
Für den § 3 Nr. 1 Satz 1 EEG 2009 zugrunde liegenden
– weiten – Anlagebegriff, unter dem die Gesamtheit
aller funktional zusammengehörenden technisch und baulich
notwendigen Einrichtungen zu verstehen ist, ist maßgeblich,
nach welchem Gesamtkonzept die einzelnen Einrichtungen funktional
zusammenwirken und eine Gesamtheit bilden sollen (im Anschluss an
das Senatsurteil vom 23. Oktober 2013 – VIII ZR 262/12, NvWZ
2014, 313, Rn. 23, 32 ff., 40).
Nicht das einzelne zum Einbau in ein Solarkraftwerk bestimmte
Fotovoltaikmodul ist als eine (eigene) Anlage gemäß
§ 3 Nr. 1 Satz 1 EEG 2009 anzusehen, sondern erst die
Gesamtheit der Module bildet die Anlage
„Solarkraftwerk“.
Wie die Konturierung des Anlagenbegriffs nach diesen Aussagen
des BGH künftig erfolgen soll und was dies für die Praxis
bedeutet, ist ohne eine fundierte Analyse des Urteils noch nicht
bis ins Letzte absehbar. Sicher ist aber bereits jetzt, dass das
BGH-Urteil die bisherige Rechtspraxis bei PV-Anlagen
vollständig auf den Kopf stellt.
Doch holen wir erst einmal tief Luft und gehen einen Schritt
zurück:
Was ist der Hintergrund für all den Aufruhr?
Kürzlich berichteten wir (http://bsw.li/1XxHX4l)
über die zuletzt ergangene Rechtsprechung der
Oberlandesgerichte Nürnberg und Naumburg zur Inbetriebnahme
bei PV-Anlagen unter dem EEG 2009. Die Oberlandesgerichte hatten
entschieden – obwohl dies nach dem Wortlaut des EEG 2009 noch
nicht ausdrücklich verlangt wurde –, dass auch bereits
nach der damaligen Rechtslage eine gewisse örtliche Festlegung
für die Inbetriebnahme vonnöten war. Das entsprechende
Urteil des OLG Nürnberg hatte der BGH bestätigt –
so viel war bereits bekannt. Die Gründe hierfür wurden
jedoch erst jetzt veröffentlicht – und könnten
tiefgreifende Auswirkungen haben, so es nicht zeitnah zu einer
klarstellenden Initiative des Gesetzgebers kommen
sollte.
Nachdem der BGH im Oktober 2013 in einem zu einer Biogasanlage
ergangenen Urteil den weiten Anlagenbegriff zementierte und den
Begriff der „Gesamtheit funktional zusammenhängender
Anlagenteile“ geprägt hatte (BGH, Urteil vom 23. Oktober
2013 – Az. VIII ZR 262/12, http://bsw.li/1XxIkft), stellte
sich natürlich die Frage, ob dieses Urteil auch Auswirkungen
etwa auf PV-Anlagen haben könnte (vgl. hierzu Hennig/von
Bredow/Valentin in: Frenz et al., EEG Kommentar, 4. Aufl. 2015,
§ 5 Rn. 7 und 19 (digitale Leseprobe: http://bsw.li/1IDTBi5)).
Es hatte jedoch niemand erwartet, dass der BGH ausgerechnet den
zuletzt vor dem OLG Nürnberg verhandelten
„Glühlampen-Fall“ zum Anlass nehmen würde, um
seine Rechtsprechung zum weiten Anlagenbegriff weiter auszubauen
und eine solch weitreichende Umkrempelung des PV-Anlagenbegriffs
vorzunehmen. So war hier vielmehr eine Positionierung zum
Inbetriebnahmebegriff des EEG 2009 erwartet worden, den der BGH in
seinem Urteil aber mehr als stiefmütterlich
behandelt.
Folgen für die Praxis: Noch ungewiss.
Der Branche stellen sich nunmehr doch eine ganze Reihe von
Folgefragen und Auslegungsschwierigkeiten. Das eher knappe Urteil
– die maßgebliche Begründung beläuft sich auf
nur 7 Seiten – lässt dabei nicht ansatzweise erkennen,
dass sich der BGH dieser schwerwiegenden Auswirkungen auf die
Praxis bewusst war oder sich hiermit in der angemessenen Tiefe
auseinandergesetzt hätte.
Das Urteil ist jedoch in der Welt und als
höchstrichterliche Auslegung für die Praxis bindend, oder
salopp formuliert: Über dem BGH kommt erst einmal nichts mehr.
Daran dürfte auch der zu erwartende Ruf nach dem
Bundesverfassungsgericht – jedenfalls kurzfristig –
nichts ändern. Die Praxis wird sich intensiv mit dem Urteil
befassen müssen. So dürften zahlreiche Netzbetreiber
nunmehr in die Prüfung einsteigen, wie sich der neue
PV-Anlagenbegriff auf die finanzielle Förderung, die
Inbetriebnahmezeitpunkte oder die technischen Voraussetzungen
für PV-Anlagen auswirken. Zugleich könnten sich für
die PV-Branche aufgrund des Urteils auch neue Möglichkeiten
eröffnen. So wirft das BGH-Urteil die spannende Frage auf, ob
PV-Anlagen bzw. – um mit dem BGH zu sprechen –
„Solarkraftwerke“ künftig unter Beibehaltung ihres
ursprünglichen Inbetriebnahmedatums erweitert werden
können. Dies würde der PV-Branche ungeahnte
Möglichkeiten bieten, zumal sich das Urteil auf das EEG 2009
bezieht – also gerade die Jahre der noch sehr hohen
Vergütungssätze. Allerdings ist davon auszugehen, dass
die Politik dem schnell den Riegel vorschieben
würde.
Die rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen des Urteils
sind aber ohne vertiefte Analyse des BGH-Urteils und seiner
Begründung noch kaum absehbar. Wir werden Sie in den
nächsten Tagen hierüber auf dem Laufenden halten und Sie
über die zu erwartenden Folgen informieren!