Photovoltaik Abwanderung – Chance für Europa!
(Source: Fraunhofer ISE/Eike Weber, 2015-01-07)
Produktionsstätten und Photovoltaikzubau verlagern
sich zunehmend nach Asien, insbesondere China.
Diese Entwicklung wird auch die kommenden Jahre anhalten. Was
bedeutet diese Entwicklung für die deutsche
Solarforschung?
Der globale Photovoltaik Markt entwickelt sich sehr positiv und
unerwartet schnell. Diese Aussage stelle ich an den Anfang, weil
wir in Deutschland derzeit eine Art Nahbrille aufhaben, die den
Blick für die Zukunft trübt. Für das Jahr 2014
erwarte ich weltweit 46 Gigawatt Photovoltaik-Zubau, zu den 130
Gigawatt bereits installierter Leistung – ein Wachstum von 35
Prozent. Die Abwanderung der Fertigung aus Europa hat letztlich mit
politischen Entscheidungen zu tun. Über die letzten Jahre
wurden gigantische Überkapazitäten aufgebaut – eine
„normale“ Folge des Goldgräberfiebers. Die Folge
war ein Absinken der Modulpreise unter die Herstellkosten. Auch in
China sind die Produzenten in Liquiditätsschwierigkeiten
geraten. Nur hat die Politik in China den klaren Willen, weiter am
Zukunftsmarkt Photovoltaik teilzuhaben. Es gibt also kein
Technologieproblem, sondern ein Investitionsproblem. Angesichts des
billigen Geldes und der stagnierenden Wirtschaft in Europa ist mir
unverständlich, warum die Politik in Europa nicht die Chance
eines Zukunftsprogramms mit Erneuerbaren Energien ergreift. Ich bin
allerdings nur Physiker, nicht Politiker oder Wirtschaftsweiser.
Als Physiker muss ich mich immer wieder vom Tagesgeschäft
lösen und in die Vogelperspektive gehen, um Trends zu
erkennen. Wenn ich einerseits das Wachstum des globalen
Photovoltaikmarktes von 35 Prozent pro Jahr und andererseits die
Abnahme der Überkapazitäten betrachte, komme ich zu einem
Schnittpunkt, ich schätze 2016 oder 2017. Dann wird sich der
Modulpreis wieder in Richtung der seit Jahrzehnten verifizierten
Lernkurve bewegen, unter die er durch die Überkapazitäten
gefallen war. Zu diesem Zeitpunkt wäre der nächste
Technologieschub für die weitere Verbilligung der
Produktionskosten fällig. Wenn allerdings die noch
führenden deutschen Ausrüster der Photovoltaik-Fabriken
in China und anderswo keine neuen Produkte vorweisen, werden sie
keine Geschäfte mehr machen können.
Chancen statt Probleme fokussieren
Natürlich will ich nicht, dass es dazu kommt. Das ist auch
nicht nötig, denn es gibt eine große Chance. Wir haben
eine neue Solarzellengeneration entwickelt, die als Basis für
einen Technologiesprung bei der Fertigung dienen kann. Die neue
Solarzelle wird statt 18 Prozent einen Wirkungsgrad von 20 Prozent
und nach weiterer Forschung langfristig bis 24 Prozent haben. Mit
dem Wirkungsgrad steigt nicht nur der Ertrag, sondern es sinkt auch
der Materialeinsatz für die Module und die benötigte
Fläche entsprechend. Technische Details zur neuen Solarzelle
darf ich nicht verraten, nur so viel: Das bewährte Silizium
bleibt Materialbasis und die Zelle hat im Technikumsmaßstab
ihr Fertigungspotenzial bereits bewiesen.
Zusammen mit französischen und Schweizer
Forschungsinstitutionen haben wir deshalb den Vorschlag einer
Multi-Gigawatt Fabrik gemacht, die die neue Generation von
Solarzellen in einer Menge und zu einem Preis liefern kann, die
weltmarktfähig sind. An diesem Projekt, das als Arbeitstitel
den Namen xGWp trägt, arbeitet ein Konsortium, an dem neben
der Forschung auch namhafte Industrieunternehmen beteiligt sind.
Dieses Projekt gibt uns die Möglichkeit, nicht nur die
Technologieführerschaft in Europa zu halten, sondern auch
einen nennenswerten Teil der Photovoltaik Produktion. Da wir die
Technologie durch Patente abgesichert haben, würde Europa auch
bei der weltweiten Verbreitung der neuen Technik in weitere
Fertigungsländer ein wichtiger Akteur bleiben.
An dieser Stelle möchte ich mit einem alten Vorurteil
aufräumen, die niedrigen Personalkosten, zum Beispiel in
China, würden die Fertigung von Photovoltaik in
europäischen Fabriken von vorne herein unrentabel machen.
Tatsache ist, dass schon beim heutigen Automatisierungsgrad der
Anteil der Personalkosten weit unter zehn Prozent liegt. Bei der
hochautomatisierten xGWp-Fabrik würde das noch weiter sinken.
Außerdem steigen auch in China mit dem Wohlstand die
Löhne. Für unseren Plan spricht außerdem, dass die
Chinesen jetzt ein ähnliches Problem wie die deutsche
Solarindustrie zuvor haben: Ihre Anlagen kommen in die Jahre! Der
Großteil ist bis zum Abschwung 2010 und 2011 gebaut worden.
Entsprechend niedrig sind Wirkungsgrade und Effizienz in den
Fabriken. Staat und Wirtschaft in China haben derzeit wenig Neigung
in neue Technologien zu investieren, nachdem sie sich bei der
gegenwärtigen Krise die Finger verbrannt haben. Wir
würden uns also mit der xGWp Fabrik auf längere Zeit an
die Spitze des Weltmarkts setzen. Für 2020 erwarte ich
dafür ein jährliches Volumen von 100 Gigawatt, das
wahrscheinlich bis 2025 auf 300 Gigawatt ansteigt.
Folgen für die Forschung
Die Photovoltaik steht also erst am Anfang ihres Siegeszuges
– und zwar unabhängig davon, ob in Deutschland die
Zeichen der Zeit erkannt werden oder nicht. In letzterem Fall hat
die deutsche Forschung dennoch jede Menge Alternativen. Wenn es
keine europäischen Hersteller mehr gibt, wird sie
natürlich vermehrt die außereuropäischen Hersteller
unterstützen – die Photovoltaik-Forschung ist
längst international. Es wäre aber schade, dass das mit
deutschen und europäischen Fördermitteln aufgebaute
Know-how dann wirtschaftlich anderen Ländern zugute käme.
Man kann das natürlich als einen indirekten Beitrag zur
Entwicklungszusammenarbeit sehen, doch könnte das effizienter
und mit weniger negativen Folgen wie Insolvenzen geschehen. Als
Trost bliebe, dass der Klimaschutz in den Herstellerländern
durch die Photovoltaik sicher schneller vorankommt als ohne.
Neben der Photovoltaik stellt die Energiewende viele wichtige
Fragen an die Forschung. Das Fraunhofer ISE hat in seinen 33 Jahren
viele Auf- und Abschwünge erlebt. Das ist eine natürliche
Folge der Beschäftigung mit neuen Technologien. Wir haben uns
deshalb schon immer als „Systemhaus“ verstanden und
eine breite Palette von nachhaltigen Energietechniken im Portfolio.
Wir arbeiten zum Beispiel an der Transformation des Netzes in ein
Smart Grid, an neuen IT-Lösungen und an der Integration von
Elektromobilität und Wärme in ein nachhaltiges
Energiesystem. Wir forschen an der Speicherung – von
dezentralen Photovoltaik-Batterien über saisonale
Wärmespeicher bis hin zu den 3-Monats-Kavernen, die –
auf der Basis von Wasserstoff – eines Tages die nationale
Gasreserve ersetzen werden.
Die Forschung wird nicht untergehen, wenn die Photovoltaik in
Deutschland erst einmal aufs Abstellgleis gefahren wird. Wir
dürfen uns dann nur nicht wundern, wenn eines Tages klar wird,
dass da – wie beim Kopierer oder dem Computer – ein Zug
abgefahren ist, den wir selbst einmal mühsam angeschoben
haben. Es wäre deshalb vernünftig, zumindest die
Technologieführerschaft in Europa zu behalten. Es wäre
vernünftig die Fernbrille aufzusetzen, um weitreichende
Entscheidungen auch mit der nötigen Klarheit treffen zu
können: Wir brauchen im Jahr 2050 etwa 10.000 Gigawatt
installierte Photovoltaik-Leistung weltweit, wenn wir nur zehn
Prozent des Strombedarfs damit decken wollen. Zu diesem Zeitpunkt
wird die Kilowattstunde Photovoltaik-Strom in südlichen
Breiten etwa drei Cent (2014) kosten.
Folgen für uns alle
Die Frage ist, will Europa an diesem gigantischen Markt nicht nur
als Käufer teilhaben, sondern weiter Technologieführer
sein? Will Europa von einem der wichtigsten Zukunftsmärkte
für seine eigene Zukunft profitieren? Wollen wir der
europäischen Jugend eine Chance geben, sich mit Erneuerbaren
Energien einen nachhaltigen Wohlstand aufzubauen und die
europäischen Werte mit vitaler Substanz zu füllen? Wollen
wir Deutsche unsere Innovationsfreudigkeit und unseren Mut,
unangenehmen Wahrheiten mit Konsequenz und Intelligenz zu begegnen,
auch in klingende Münze wandeln? Die Antwort muss die Politik
geben, müssen Bürgerinnen und Bürger geben. Die
Forschung wird weiter an den Wahrheiten forschen und für deren
Wahrnehmung werben, indem sie Wenn-Dann-Konsequenzen aufzeigt.
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